Kritische Wertschätzung

 

Ich gebe es zu: Ich halte Kritik manchmal recht schlecht aus. Warum das so ist, weiß ich so genau nicht, ich weiß nur, was es mit mir macht.

Ich nage Tage und Wochen lang daran herum, spiele immer und immer wieder neue Rechtfertigungsmuster durch, warum das, was ich tat, sagte, schrieb, doch richtig war und ist, um mir schließlich eingestehen zu müssen, dass diese Kritik doch eigentlich neue Perspektiven zeigt und mich zum Denken anregt. Aber das ist dann das Ergebnis eines langen Verdauungsprozesses mit ein paar Magenkrämpfen.

Manchmal fühle ich mich auch ertappt (weil ich es eigentlich wissen hätte müssen – naja, ich hatte gehofft, dass es eben so auch gehen könnte…), manchmal frustriert, weil einzelne Elemente aus einem komplexeren Zusammenhang herausgerissen wurden und in der Kritik unverhältnismäßig wichtig geredet wurden; manchmal aber auch zornig, wenn ich nach großem Kraftaufwand oder nach einem begeisterten Plädoyer für irgendwas eine unachtsame Bemerkung zu hören bekomme. Wie ins Gesicht geschleudert macht sie mich fertig, obwohl sie vielleicht einfach so hingeworfen und gar nicht so gemeint war. Aber da darf ich mich dann wohl auch zu Recht ärgern, weil die Kritik nicht reflektiert und deshalb etwas fehl am Platz war.

Kritisieren ist in unserer Zeit ein Habitus geworden. Jeder kritisiert jeden und weiß alles besser. Als müsste man seine eigene Position dadurch stärken, dass man anderes schlechtredet. Konstruktive, wohlwollende Kritik ist recht selten. Eine positive Haltung einer Arbeit oder Idee gegenüber fällt uns schon schwer genug, etwas Positives zu äußern ist fast schon unmöglich. Und wenn man inhaltlich nichts auszusetzen hat, dann macht man mit so genannten Killerphrasen jede Diskussion unmöglich. Die „top 10“ der Killerphrasen finden Sie, wenn es Sie interessiert, auf http://www.rhetorik.ch/Killer/Killer.html. Man mag das mit unserer Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft erklären, legitimieren kann man es nicht.

 

Aber es ist auch eine bedauerliche Gewohnheit bei uns Lehrpersonen, die wir doch eigentlich Kinder und Jugendliche aufbauen sollten. Denken Sie nur mal daran, wie wir manchmal Schüler „loben“: „Ich MUSS sagen, das war gut.“ Dieses „MUSS“ ist doch einfach schrecklich! Was impliziert dieses „Muss“? „Ich will es nicht, aber ich muss.“ Oje! In der Korrektur und Prüfung heben wir das hervor, was nicht ist, wir sammeln Gründe, Notenpunkte abzuziehen statt Elemente, Noten aufzubauen.

Wie gut tat es mir, als ich in meinem Unterricht Folgendes versuchte: Es ging um etwas Neues, das die Schüler/innen erlernen und versuchen sollten (eine neue Form, ein neuer Inhalt, eine Idee, ein Projekt, das tut hier nichts zur Sache). Irgendwann stellten sie ihre ersten Entwürfe vor und die Mitschüler/innen sollten Feedback geben, unter der Bedingung, dass sie nur Positives äußerten. Es waren die schönsten Momente, die ich jemals im Unterricht erlebt habe: Es war spannend, bereichernd, wohltuend vor allem für die, welche es sonst gewohnt waren, nur zu hören, was sie falsch gemacht haben. Die gingen mit einer Leichtigkeit aus dem Unterricht, die man ihnen auch physisch ansah. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Fertigkeit, um die es ging, schneller verstanden und eingeübt worden wäre; ich habe noch nie lieber das Endprodukt bewertet und noch nie vorher so viel Positives in den Arbeiten entdecken können wie diesmal. Ich vermute, dass es die Wertschätzung war, die alle geäußert und erhalten haben. Und weil letzten Endes die positiven Bemerkungen für die Arbeit anderer auch Ideenlieferanten für die eigene Arbeit gewesen waren.

Man sagt: Lob sei besser als Tadel. Ich würde ergänzen: Kritische Wertschätzung ist besser als Kritik.

Fanni A. Storch

 

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