Spannungen verstehen
Konflikte sind im Schulalltag täglich Brot. Um sie nachhaltig lösen zu können, ist es wichtig, sie genau zu verstehen – kein leichtes Unterfangen in einem derart komplexen Betrieb. Ein Analyseversuch.
von Johannes Kofler
Die möglichen Konfliktparteien stehen in sehr unterschiedlichen Beziehungen zueinander, die einerseits klar hierarchisch geordnet sind (z. B. Direktion – Lehrperson, Schüler – Lehrer), andererseits von großer Komplexität zeugen. Das Verhältnis Direktion – Eltern ist bei weitem weniger klar. Als Akteure treten neben den genannten noch Sekretariatspersonal und Reinigungskräfte, häufig noch Assistenten, Lehrpersonen praktischer Fächer und andere. Die Abstufungen in der Hierarchie sind fein und nicht immer ganz klar, die Verhältnisse zueinander oft kompliziert und fein ausdifferenziert.
Lösungswege in Gremien
Für die Lösung von Konflikten gibt es in den Schulprogrammen verankerte Institutionen, in denen Meinungen diskutiert werden können und bei denen man Hilfe bekommt. An Mittelschulen und besonders an Oberschulen wurden in den letzten Jahren sogenannte „ZIB“ („Zentrum für Information und Beratung“, oft auch anders benannt) eingerichtet. Sie bilden Anlaufstellen vor allem für Schüler/innen, die sich häufig als das schwächste Rad im System empfinden. Hier gibt es neutrale Ansprechpersonen, um heikle Fragen zu diskutieren. Allzu oft ist es den Schülervertretern nämlich zu heiß, ein solches Thema in den klassischen Gremien anzusprechen – etwa im Klassenrat. Persönliche Konsequenzen werden befürchtet, so duckt man lieber weg.
Komplexe Zusammenhänge
Schülerinnen und Schüler fühlen sich den Lehrpersonen häufig ausgeliefert und fühlen das Damoklesschwert der schlechten Benotung über ihren Köpfen. Auch sind sie mit weniger Lebenserfahrung ausgestattet und in der Konfliktführung weniger geschult. Lehrpersonen untereinander hingegen beobachten sich zwar sehr genau und bilden meist eine klare Meinung aus, mischen sich aber in Konflikte zwischen Kolleginnen und Kollegen und Schülern wenig ein und wollen dies auch kaum. Auf lange Sicht ist den meisten das gute Verhältnis zu den anderen Lehrpersonen wichtiger, als die Lösung heikler Fragen. Für Unterrichtsentwicklung und Personalführung ist schlussendlich die Direktion zuständig. Eine Schulführungskraft hat aber oft wenig Einblick in den Unterrichtsalltag, zudem sind ihr rechtlich meist die Hände gebunden. Allgemein gibt es in dieser komplexen Gemengelage keine klaren und einfachen Lösungen. Annäherung und Lösung gibt es nur durch beständige und respektvolle Kommunikation. Professionelle Schulung zu Fragen des Konfliktmanagements ist notwendig, besonders auf der Ebene der Schulführung. Gerade in dieser Hinsicht hat sich das Berufsbild des Direktors/der Direktorin sehr stark gewandelt. Das folgende Beispiel aus einer Südtiroler Oberschule zeigt, wie schwierig es für die Beteiligten ist, mit kritischen Situationen umzugehen. Der Fall, dargestellt in unkommentierten Stellungnahmen, offenbart, wie sehr Abhängigkeiten in der Schule konstruktive Kritik erschweren. Die Wahrnehmungen sind sehr unterschiedlich und widersprechen sich teils. Da es sich um reale Personen handelt, die immer noch miteinander zu arbeiten haben, wurden alle Personen anonymisiert. Alle Beteiligten wurden zu demselben Konflikt befragt und um eine Stellungnahme gebeten, nicht alle waren bereit, ihre Sichtweise darzustellen. Schülerin 1: Unsere Klasse hatte letztes Jahr Probleme mit xxx. Wir sind mit den Unterrichtsmethoden nicht zurechtgekommen, auch waren die Benotungen nicht gerecht. Anfangs haben wir versucht, mit der Lehrperson darüber zu sprechen, allerdings ging sie nicht auf unsere Kritik ein. Deshalb baten wir unseren Klassenvorstand um Hilfe. Daraufhin gab es einige Gespräch, auch mit den Eltern und schlussendlich, weil sich nichts geändert hatte, auch mit dem Direktor. Wir als Schüler wurden von der Lehrperson nicht ernst genommen und nicht respektiert. Es gibt aber auch noch einige andere Lehrerinnen und Lehrer, die mit unserer Kritik nicht gut umgehen können oder gar nicht darauf eingehen. Ich persönlich habe manchmal das Gefühl, dass wir Schüler gegenüber den Lehrern machtlos sind.
Schüler 2:
Ich glaube, dass es für Schüler sehr schwierig ist, Kritik an Lehrpersonen zu üben. Wenn man etwas gegen Lehrpersonen sagt, dann nehmen es einige locker auf und verbessern sich. Andere aber entwickeln gleich eine Antipathie für den Schüler und das fließt in die Bewertung des Schülers ein. Besser also: Nichts sagen!
Schülerin 3:
Wir hatten im letzten Jahr den Fall, dass es Probleme mit einer Lehrperson gab. Wir haben ihren Unterricht stark kritisiert, ihr das aber nicht direkt gesagt. Wir haben mehrere Stunden mit dem Klassenlehrer darüber geredet, was man machen könnte, an wen wir uns noch wenden können. Letztendlich hat es zu keinem guten Ergebnis geführt, weil wir hauptsächlich mit anderen über dieses Thema gesprochen haben und nicht mit der Lehrperson selbst. Als sie draufgekommen ist, dass wir einen Gesprächstermin mit dem Direktor ausgemacht hatten, ohne ihr Bescheid zu geben, gab es eine große Diskussion und sie verkündete schließlich, unsere Klasse im nächsten Schuljahr abzugeben. Wir haben die Möglichkeit, über solche Dinge mit unserem Klassenvorstand zu sprechen. Er nimmt sich dafür auch die Zeit und hört uns zu. Das ZIB wird von uns weniger genützt. Aber auch mit unseren Eltern reden wir über solche Dinge; diese wiederum können sich dann persönlich an die Lehrperson wenden.
Schülerin 4:
Wir hatten in der Klasse folgendes Problem: Nichts-Tun einer Lehrperson. Wir als Klasse haben Folgendes angewandt:
Das alles hatte keinen Erfolg, es kam nur zum Lehrerwechsel. Meiner Meinung nach können wir als Schüler und sogar die Eltern eigentlich nichts tun. Das Problem wurde als „Peinlichkeit“ nur auf eine andere Klasse geschoben und nicht gelöst.
Schüler 5: Da wir ja im letzten Jahr einen größeren Konflikt mit einer Lehrperson hatten, haben wir natürlich probiert, Kritik an ihr zu üben und das Problem zu lösen. Wir haben sie darauf angesprochen, doch sie hat uns gegenüber nicht fair reagiert und wollte auch nicht darüber diskutieren. Die Lehrperson sagte einfach, dass wir den Unterricht machen sollten, wenn wir es schon besser wüssten. Sie war nicht bereit, mit uns offen darüber zu reden und gemeinsam eine Lösung zu finden. So fühlten wir uns machtlos. Seitdem verhält sich die Lehrperson sehr komisch gegenüber der Klasse. Klassenvorstand: Im letzten Schuljahr kam es zu einer heiklen Situation mit einer 3. Klasse, deren Vorstand ich war. Die Schüler/innen beklagten sich über eine Lehrperson, in erster Linie über fehlendes ein Konzept, aber auch über die Bewertung und organisatorische Fragen. Da ich es grundsätzlich nicht als meine Aufgabe sehe, über die Arbeitsweise von Kollegen zu urteilen, hielt ich mich zunächst aus der Sache direkt heraus und machte den Schülerinnen und Schülern klar, dass sie den Konflikt mit der betroffenen Lehrperon direkt besprechen und klären müssten. Mir fiel auf, dass die Schüler/innen ihre Kritik in völlig unangebrachter Weise äußerten. Dazu behandelte ich mit der Klasse eine Einheit zu den Themen aktives Zuhören, achtsame Kommunikation und Kritik konstruktiv formulieren. Es ging dabei auch um nonverbale Kommunikation und Konfliktlösung. Ob diese Unterrichtsstunden ihren Zweck erfüllten, bleibt fraglich. Jedenfalls kam das Thema immer wieder auf. Ich riet den Schülern schließlich, sich an das ZIB zu wenden und mit den Elternvertretern zu sprechen. Als die Klasse weiter urgierte und versicherte, dass alle Strategien zu keinem Erfolg geführt hätten, vermittelte ich ein Gespräch zwischen Klassensprechern, betroffener Lehrperson, Elternvertretern und Direktion. Ich selber nahm nicht an der Aussprache teil und wollte auch nicht weiter damit befasst werden. Später teilte man mir mit, dass die Lehrperson die Klasse freiwillig abtreten wolle, weil die Chemie nicht stimme. Mir war der ganze Fall sehr unangenehm, da ich ständig zwischen den Stühlen saß. Einerseits habe ich Verständnis für die Anliegen der Schüler/innen, andererseits will ich keinesfalls über die Arbeit anderer befinden. Das ist Aufgabe der Direktion, die aber wenig Einblick in die Unterrichtsrealität hat. Diese haben neben den Lehrpersonen eigentlich nur die Schüler/innen selbst. Ich hoffe, dass die Klasse allgemein etwas über respektvollen und offenen Umgang mit Kritik gelernt hat. Mit der betroffenen Lehrperson arbeite ich nach wie vor gut zusammen, wiewohl ich vieles von der Kritik der Schüler/innen nachvollziehbar finde. Aber wir stehen auf einer anderen Ebene zueinander. Die betroffene Lehrperson wollte sich gegenüber „forum schule heute“ nicht direkt äußern, fasste ihre Sichtweise aber so zusammen: Die Klasse habe wenig Offenheit für alternative Unterrichtsformen gezeigt, zudem hätten einige wenige Rädelsführer die ansonsten ruhige Klasse aufgewiegelt. Man habe hinter ihrem Rücken versucht, sie anzuschwärzen und mit ihr selbst nur in unangebrachter Weise kommuniziert. Auf der einen Seite laut und aggressiv in der Kritik seien die Schüler/innen andererseits nicht bereit gewesen, die Schuld auch bei sich selbst zu suchen oder die Situation aktiv zu verbessern, etwa durch besonderen Einsatz im Unterricht. Sie habe in Gesprächen immer wieder auf diese Situation hingewiesen, das sei aber abgeblockt worden. Es komme aber immer wieder vor, dass Schüler/innen und Lehrer nicht zusammenkommen, deshalb habe sie – menschlich enttäuscht – die Direktion gebeten, von einer Kontinuität im neuen Schuljahr abzusehen. |
praxis
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