A
RBEITSGEMEINSCHAFT
P ÄDAGOGISCHE
Z EITSCHRIFT
Wie Lehrer nachhaltig lernen
- von Rudolf Meraner
Perspektiven für die Weiterentwicklung
der Lehrerfortbildung in Südtirol
Wie kann die Wirksamkeit und die Nachhaltigkeit von Fortbildung erhöht werden? Welchen Beitrag kann und muss die Fortbildung bei der Umgestaltung des Schulsystems leisten, das sich von einem zentralistischen Gefüge zu einem System wandelt, in dem Schulen mehr Eigenverantwortung und Selbstgestaltungsmöglichkeiten haben? - So lauten zwei Fragen, die beantwortet werden müssen, um die weitere Entwicklung der Fortbildung skizzieren zu können.
Wirksamkeit
und nachhaltige Wirksamkeit
Langzeitveranstaltungen mit bewussten Transferphasen
Ausrichtung der Fortbildung auf Lehrerteams
Die Neuorientierung und Aufwertung der schulinternen Fortbildung
Maßnahmen zur Verbesserung der schulinternen Fortbildung
Lehrerfortbildung und Schulentwicklung
Die Führungsrolle
Fortbildung als Steuerungselement im neuen Schulsystem
Wirksamkeit und nachhaltige Wirksamkeit
Kürzlich ist in der Schweiz von Charles Landert eine umfangreiche Untersuchung zur Wirksamkeit der Lehrerfortbildung durchgeführt worden.(1) Er hat dabei nicht nur Lehrpersonen vor und nach dem Kursbesuch befragt, sondern auch Erhebungen längere Zeit nach dem Kursbesuch sowie im Umfeld der Teilnehmer durchgeführt. Aufgrund der Ergebnisse dieser Befragungen unterscheidet er zwischen der Wirksamkeit und der nachhaltigen Wirksamkeit. Unter Wirksamkeit versteht er die Zufriedenheit der Teilnehmer mit der Veranstaltung und die Übereinstimmung zwischen vorgegebenem und tatsächlich realisiertem Ziel. Unter nachhaltiger Wirksamkeit versteht er den Erfolg bei der Umsetzung. Da geht es darum, ob die in der Fortbildung erlangten Qualifikationen zu einem neuen, angemessenen Verhalten im Unterricht und in der Schule führen, ob die neue Einstellung auch längere Zeit nach der Fortbildung gesichert ist.
Die wesentlichen Ergebnisse decken sich mit ähnlichen Untersuchungen, die in letzter Zeit in Hessen und in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurden. Sie decken sich auch mit unseren Erfahrungen. Die Schlussfolgerungen stimmen weitgehend mit den Forderungen überein, wie wir sie für die weitere Entwicklung der Fortbildung in Südtirol aufgestellt haben.
Langzeitveranstaltungen mit bewussten Transferphasen
Nachhaltig wirksame Fortbildungsveranstaltungen sind Langzeitveranstaltungen, die aus 6 bis 8 mehrtägigen Blöcken sowie aus Praktikas, Projektarbeiten, Vertiefungsmöglichkeiten und ähnlichen Transferphasen zwischen den einzelnen Blöcken bestehen. Diese Organisationsform bietet nicht nur die Möglichkeit zur Umsetzung, sondern auch zur gemeinsamen Aufarbeitung der gemachten Erfahrungen im nächsten Block. Solche Lehrgänge sind zur Ausbildung von Tutoren, Moderatoren, Koordinatoren, Fachberatern und Beratern, aber auch zur Fortbildung von Junglehrern in der Grundschule entwickelt worden.
Wie bei allen Versuchen, die Nachhaltigkeit von Fortbildung zu erhöhen, ergibt sich das Problem, dass die Zeiterfordernisse für die Fortbildung und die Zeiterfordernisse der Schule nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Fortbildung mit nachhaltiger Wirkung kann nicht nur in der unterrichtsfreien Zeit stattfinden. Bei vielen Schulleitern setzt sich nun die Erkenntnis durch, dass es für die Schule letztendlich von Vorteil ist, wenn für nachhaltige Fortbildung auch einige Unterrichtstage hergenommen werden. Andererseits haben wir die Erfahrung gemacht, dass Lehrpersonen in Langzeitveranstaltungen sehr sorgsam mit der Unterrichtszeit umgehen und Maßnahmen ergreifen, damit ihre Teilnahme an der Fortbildung nicht zum Nachteil für ihre Schüler wird.
Ausrichtung der Fortbildung auf Lehrerteams
An traditionellen Fortbildungsseminaren nimmt in der Regel eine Lehrperson aus einer Schule teil. Häufig geschieht es, dass diese mit neuen Ideen und voller Schwung in die Schule zurückkehrt, dort aber bald vom Alltag eingeholt wird, da ihre Ideen und Umsetzungspläne wenig Unterstützung im Kollegium finden.
Um die Nachhaltigkeit der Fortbildung zu erhöhen, sind wir in den letzten Jahren dazu übergegangen, dieselbe Veranstaltung in mehreren Bezirken oder mehrmals hintereinander durchzuführen. Damit wird ermöglicht, dass mehrere Lehrpersonen einer Schule an der Veranstaltung teilnehmen. Die Umsetzung des in der Fortbildung Gelernten und Erfahrenen ist dann nicht mehr Angelegenheit einer einzelnen Person, sondern eine gemeinsame Aufgabe einer Gruppe von Lehrpersonen. Im Team erfahren die Lehrpersonen gegenseitige Unterstützung, die Belastung durch das in der Schule verbreitete Einzelkämpfertum wird gelindert. Es bestehen weit größere Chancen, dass die Fortbildung tatsächliche Auswirkungen auf den Unterricht, auf den Arbeitsplatz Schule und/oder die Schulorganisation hat.
Die Neuorientierung und Aufwertung der schulinternen Fortbildung
Seit Anfang der 90er Jahre ist die schulinterne oder arbeitsplatzbezogene Fortbildung (2) in den Vordergrund gerückt. Die Akzeptanzprobleme werden ausgeklammert, wenn das gesamte Lehrerkollegium an derselben Veranstaltung teilnimmt. Die Fortbildungsträger sind dazu übergegangen, Referenten für die schulinterne Fortbildung auszubilden und Modell-Seminare zu entwickeln und den Schulen anzubieten.
Trotzdem hat die schulinterne Fortbildung bisher nicht so gegriffen, wie man sich das erwartet hatte. Denn zum einen wird der Bereich der Fortbildung vernachlässigt, der den Lehrpersonen am meisten am Herzen liegt, weil er am unmittelbarsten mit ihrer Unterrichtstätigkeit zu tun hat: die Fachdidaktik. Geeignete Themen für Lehrpersonen unterschiedlicher Fächer - Bewertung, Klassenführung, Erziehung - sind bald erschöpft. Pädagogische und allgemein didaktische Themen sind bei vielen Lehrpersonen wenig beliebt, wenn nicht auch die Verknüpfung mit ihrem jeweiligen Unterricht und Unterrichtsfach eingeplant ist.
Wenn das Lehrerkollegium die schulinterne Fortbildung plant, wird häufig eine Wunschliste erstellt, in die einzelne Lehrpersonen jene Themen oder Referenten setzen, die sie aus den Landesseminaren in guter Erinnerung haben. Damit werden aber nur Landesseminare wiederholt und man wird den Anforderungen an die schulinterne Fortbildung nicht gerecht.
Längerfristige Erfolge sind eigentlich nur dann zu verzeichnen, wenn die schulinterne Fortbildung beinahe nahtlos in Schulprojekte übergeht oder wenn sich eine Fortbildungsmaßnahme in Etappen über ein ganzes Schuljahr zieht, so dass Fortbildung und Umsetzung ineinander übergreifen.
Maßnahmen zur Verbesserung der schulinternen Fortbildung
Da die schulinterne Fortbildung der jeweiligen Schule eigen ist und von dieser geplant, durchgeführt und ausgewertet wird, ist es schwierig, von außen Maßnahmen zur Verbesserung zu setzen.
Das Pädagogische Institut erstellte eine umfangreiche Liste von Themen sowie von Referentinnen und Referenten für die schulinterne Fortbildung. Dieses Angebot wurde dort gut aufgenommen, wo Neuerungen beinahe zwingend nach Fortbildung verlangten, wie bei der Neuregelung der Rechtschreibung, und dort, wo die Verknüpfung von pädagogischen, allgemeindidaktischen und fachdidaktischen Themen relativ leicht möglich ist, nämlich in der Grundschule, wo es kein Fachlehrersystem gibt.
Schließlich werden Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt, die sich mit der schulinternen Fortbildung befassen. In Workshops erarbeiten Teams aus Schulen (Schulleiter und Lehrpersonen, die Mitglieder in Fortbildungsarbeitsgruppen der Schulen sind), was schulinterne Fortbildung leisten und wie sie gezielt verbessert werden kann.
Lehrerfortbildung und Schulentwicklung
In der letzten Zeit ist erkennbar, dass die schulinterne Fortbildung eine neue Qualität erreicht. Dies steht in Zusammenhang mit den Schulentwicklungsprozessen, die in vielen Schulen stattfinden, seit die Herausbildung eines neuen Schulsystems mit eigenständigeren Schulen angestrebt wird.
Für diese neuen Aufgaben brauchen die Schulen Unterstützung. Dazu sind neue Formen der Fortbildung entwickelt worden; vor allem Pädagogische Tage oder Pädagogische Konferenzen und Workshops für Steuergruppen.
Die schulinterne Fortbildung erhält in Schulentwicklungsprozessen eine neue Qualität. Eine Veranstaltung zu Lehrplanfragen steht nicht mehr isoliert da, sondern wird in einen Zusammenhang mit der Ausgestaltung von schulinternen Lehrplänen gestellt und führt nahtlos in die Aufgabe über, den Lehrplan an die Erfordernisse der Schule und der Schulumwelt anzupassen. Ein Seminar zum Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern soll nicht nur Auswirkungen auf das Verhalten einzelner Lehrpersonen haben, sondern in eine Vereinbarung über Grundhaltungen und pädagogische Grundwerte münden und in das Schulprogramm einfließen.
Die Themen der schulinternen Fortbildung ergeben sich nicht mehr zufällig, sondern sind Bereiche, die schulinterne Arbeitsgruppen im Schulentwicklungsprozess als Bedarf festgestellt haben. Insofern sind es gezielte Maßnahmen mit konkreten Ansprüchen auf Verbesserungen.
In solchen Prozessen verschwinden die Grenzen zwischen schulischer Entwicklungsarbeit und Fortbildung. "Schulentwicklung wird zu großen Teilen Fortbildungsarbeit, und Lehrerfortbildung ist weitgehend Schulentwicklungsarbeit geworden." (3) Bis es so weit ist, werden noch einige Jahre vergehen. Ansätze sind vorhanden, die meisten Schulen sind allerdings erst am Beginn des Weges zu dieser Art von schulinterner Fortbildung.
Die Führungsrolle
Immer wieder haben wir festgestellt, dass die Schulleiter eine entscheidende Rolle sowohl bei der Planung der schulinternen Fortbildung als auch bei der Beteiligung der Lehrpersonen an der schulexternen Fortbildung spielen. Viele Schulleiter sehen Fortbildung als entscheidendes Element im Rahmen der Personalentwicklung an, ermuntern Lehrpersonen und sprechen sie gezielt auf interessante Angebote an. Einzelne Direktoren sehen allerdings zuerst die mit Fortbildung verbundenen organisatorischen Probleme und sind froh, wenn Lehrpersonen ihrer Schule wenig Interesse an Fortbildung, vor allem nicht an Langzeitkursen und an Ausbildungskursen für Berater, Moderatoren usw. haben. Es wäre interessant, wenn man feststellen könnte, in wie weit die Haltung der Schulleiter zur Lehrerfortbildung ein Indikator für die "gute" Schule ist.
Fortbildung als Steuerungselement im neuen Schulsystem
Im Schulsystem mit eigenständigen Schulen sind die Möglichkeiten, über Anweisungen, Verpflichtungen und Detailregelungen auf die einzelnen Schulen einzuwirken, drastisch eingeschränkt worden. Die neuen Steuerungsmechanismen6) sind: Rahmenbedingungen setzen, Richtlinien und Kriterien festlegen, Anreize und Angebote schaffen und über Fortbildung Einstellungen stärken oder verändern.
Damit erhält die Fortbildung für die Verantwortlichen im Schulsystem eine noch größere Bedeutung als bisher. Über Fortbildung können neue Entwicklungen und Reformen eingebracht, gestärkt und teilweise gesteuert werden. Aus diesem Grunde legen Schulbehörden Wert darauf, dass schulsystemnahe Institutionen, wie Pädagogische Institute, Landesinstitute für Schulentwicklung und Lehrerfortbildung, regionale Pädagogische Arbeitsstellen oder Weiterbildungszentralen für die Fortbildung verantwortlich bleiben und in ihrer Rolle gestärkt werden.
Dem steht eine andere Tendenz gegenüber. Schulen wird im Rahmen der Autonomie auch für die Fortbildung mehr Entscheidungsfreiheit eingeräumt und von daher werden mehr Marktmechanismen im Fortbildungsbereich verlangt. Aber auch für die einzelne Schule ist die Fortbildung ein wichtiges Führungsinstrument. Deshalb gilt für Schule und Schulsystem: Die Fortbildung sollte nicht leichtfertig aus der Hand gegeben werden, wenn man Effizienz und Effektivität des Unterrichts verbessern und die Qualität des gesamten Schulwesens anheben will.
Rudolf Meraner ist Direktor des Pädagogischen Instituts
Anmerkungen:
1) Charles Landert, Lehrerweiterbildung in der Schweiz. Ergebnisse
der Evaluation von ausgewählten Weiterbildungssystemen und Entwicklungslinien
für eine wirksame Personalentwicklung in den Schulen. Nationales Forschungsprogramm
33 - Wirksamkeit unserer Bildungssysteme. Chur u. a.: Rüegger
1999, S. 21
2) Vgl. Ulrich Greber u. a. (Hrsg.): Auf dem Weg zur "Guten
Schule": schulinterne Lehrerfortbildung. Bestandsaufnahme, Konzepte, Perspektiven.
2. Aufl. Weinheim: Beltz 1993 (Beltz Grüne Reihe)
Vgl. Reinhold Miller: Schilf-Wanderung. Wegweiser für die praktische Arbeit
in der schulinternen Fortbildung. 2. Aufl. Weinheim u. a.: Beltz 1991. (Beltz
Grüne Reihe)
Vgl. Elmar Osswald: Gemeinsam statt einsam. Arbeitsplatzbezogene Lehrer/innenfortbildung.
2. Aufl. Kriens: Brunner 1995
Vgl. Edwin Achermann: Schulinterne Fortbildung - eine Orientierung mit Werkzeugen.
Aarau: Erziehungsdepartement des Kantons Aargau 1997
3) Botho Priebe: Schulentwicklung braucht Lehrerfortbildung.
Was Fortbildung zur Gestaltung und Veränderung des Arbeitsplatzes beitragen
kann. In: Arbeitsplatz Schule. Aussprüche - Widersprüche - Herausforderungen.
Friedrich Jahresheft 1998, hrsg. von Werner Heisterberg u.a. Seelze: Friedrich
Verlag 1998, S. 92