Das Wort "Schule" ist im Griechischen gleichbedeutend mit Muße: ruhig, ohne Zeitdruck sein, offen für differenziertes Beobachten und Wahrnehmen, durch Besinnung schöpferische Kräfte entfalten. Muße ist eine wichtige Voraussetzung für das Lernen. Aber wer will das denn wahrhaben? Von einer solchen Schule sind wir heute auch weit entfernt. Der gefühllose Takt der Uhr - mit dem Klingelzeichen als Relikt des Frontalunterrichts - beherrscht den schulischen Alltag. Im Stundentakt werden jeweils andere Inhalte vermittelt. Beschleunigung und besinnungsloses Tempo scheinen noch zuzunehmen. An Südtirols Schulen wird der Stundenplan öfters "außer Kraft gesetzt" bzw. umgestaltet, wenn Projekttage angesagt sind. Von Oberschulen wird dann gelegentlich die Erklärung nachgeschoben, dass die Schülerinnen und Schüler auch noch viel von ihrer Freizeit opfern, um ja nicht zu viele Unterrichtsstunden zu verlieren. Der Stoffdruck lasse das nicht zu. Wer macht da Druck und warum? Die Bildungsanforderungen haben sich nämlich gewandelt. Gefragt sind Basis- und Schlüsselqualifikationen: die Fähigkeit zum Denken in Zusammenhängen und Durchschauen komplexer Gegenstände, die Analyse- und Planungskompetenz, die Fähigkeit zu Kommunikation und Teamarbeit und zum Lösen von Problemen. Wissensvermittlung tritt in den Hintergrund. Der Erwerb von Kompetenzen ist aber nur möglich, wenn dafür geeignete Formen des Lehrens und Lernens in den Schulen Einzug halten. Drei Lernprinzipien gewinnen an Bedeutung:
Diese setzen eine flexible Zeitstruktur voraus. Die didaktische Autonomie sieht hierfür Gestaltungsfreiräume vor. Bisher entfiel auf die einzelnen Fächer aufgrund der Stundentafeln jeweils eine bestimmte Anzahl von Wochenstunden. Seit Inkrafttreten des Landesgesetzes zur Autonomie können die Schulen die Fächer selbstständig auf das Schuljahr verteilen, wobei von der Berechnung der Jahresstundenkontingente für die einzelnen Fächer ausgegangen wird. Zu diesem Zweck werden die jeweils vorgesehenen Wochenstunden mit 34 multipliziert. Es ist dann zum Beispiel möglich, die Jahreskontingente der Fächer in Blöcke zu gliedern. Über die Dauer der Unterrichtseinheiten kann, ohne die Unterrichtszeit insgesamt zu kürzen, frei verfügt werden. Modelle einer flexiblen Stundenplangestaltung sind sicher sinnvoll. Sie bedeuten aber vorerst Mehrarbeit und scheitern möglicherweise am Organisatorischen oder am fehlenden Konsens im Klassenrat oder Lehrerkollegium. Der Zeitdisziplinierung in unserem Schulsystem liegt die Ökonomie der Machbarkeit, der Zweckrationalität und der Funktionalität zugrunde. Können wir dem künftig neue Werte entgegen setzen? Den Tiefgang gegen den Schnelllauf der Zeit? Das Zugestehen von Eigenzeit an Kinder und Jugendliche? Es geht um bewusstes Entschleunigen, situationsbedingt auch um Beschleunigen. Die Schule des 19. Jahrhunderts kann rückblickend als "Stoffschule", die des 20. Jahrhunderts als "Methoden- und Medienschule" bezeichnet werden. Wird sich die Schule des 21. Jahrhunderts zu einer Schule entwickeln, wo Lehrende und Lernende kompetent mit ihrer Zeit umzugehen lernen? Maria Montessoris Forderungen "Gib mir Zeit!" und "Hilf mir, es selbst zu tun!" sind längst wieder aktuell. Montessori-Schulen - hierzulande gibt es drei Montessori-Klassen an einer staatlichen Grundschule - sind gekennzeichnet durch eine gleitende Schulanfangsphase, rhythmische Gliederung des Schulvormittags, täglich mindestens zwei Stunden Freiarbeit, jahrgangsübergreifende Aktivitäten und Klassenräume, die als Lernumwelt gestaltet werden. Dort arbeitende Lehrerinnen und Lehrer setzen Vertrauen in die Eigenkraft des Kindes. Wer diese innere Einstellung erworben hat, sehnt eine solche Organisationsform herbei. Auch viele Eltern hegen ähnliche Wünsche für ihre Kinder. "Mit Kindern Schule machen", ein auf Bausteinen basierendes
Unterrichtskonzept von Edwin Achermann, wird in diesem Heft von zwei Grundschullehrerinnen
vorgestellt. Jedenfalls sollte der Umstand, warum die Lernfreude mit den Schuljahren meist abnimmt, endlich erforscht werden. Dabei müsste man sich auch der Frage stellen, ob an Oberschulen wirklich bis zu 39 Wochenstunden Unterricht erforderlich sind. Ist eine lebenswerte Schule vereinbar mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Staates? Hängt die Anzahl der Lehrstühle am Absitzen so vieler Stunden durch unsere Kinder? Lernzeit ist Lebenszeit. Lernkultur und Zeitgestaltung sind eng miteinander verwoben. Die Sinnfrage ist nicht unwesentlich.
Der gefühllose Takt der Uhr - mit dem Klingelzeichen als Relikt des Frontalunterrichts - beherrscht den schulischen Alltag. Im Stundentakt werden jeweils andere Inhalte vermittelt. Beschleunigung und besinnungsloses Tempo scheinen noch zuzunehmen. Wer macht da Druck und warum? Wir freuen uns auf Ihre Antwort im neuen Diskussionsforum von forum schule heute. |
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