Interview
mit Caritasdirektor Franz Kripp zu den Initiativen der Caritas im Bereich
der schulischen Integration von Einwandererkindern
Von Claudia Gasslitter
In
den Medien hört man bisweilen, dass die deutsche Schule die Ausländerkinder
an die italienische Schule abschiebe. Wie erklären Sie das Phänomen,
dass gegenwärtig mehr als doppelt so viele Ausländerkinder an
italienischen Schulen unterrichtet werden?
Franz
Kripp: Es gibt in unserem Lande, glaube ich, immer noch auf beiden
Seiten der Sprachgruppen Köpfe, die ein Interesse daran haben, dass
deutschsprachige und italienischsprachige Südtiroler sich nicht so
gut verstehen. Es ist immer noch das ethnische Thema eines, aus dem sich
politisches Kleinkapital schlagen lässt. Und dann wird gerne über
Zahlen polemisiert. Man kann nicht sagen, dass die italienische Schule
Auffangbecken für die ausländischen Kinder wäre. Zur Schulwahl
ist die Geschichte der Einwandererfamilien genau zu betrachten. Wir haben
es hier in Südtirol vor allem mit Einwanderern aus nordafrikanischen
Ländern, aus Albanien oder Ex-Jugoslawien zu tun, die nun hauptsächlich
in Bozen leben und sich dem italienischen Kulturkreis annähern. Die
meisten Einwanderer haben eine Vorgeschichte im restlichen Italien und
ihre Umgangssprache hier ist in erster Linie Italienisch. Umgekehrt gibt
es auch Einwanderer aus Pakistan und Indien, diese besuchen meist die
deutschen Schulen. Nur sind sie numerisch einfach geringer und daher fällt
das ausländische Kind in den deutschen Schulen nicht so auf. So können
relativ einfache und klare Erklärungen für die Ausländeranteile
an deutschen und italienischen Schulen gegeben werden. Das italienische
und das deutsche Schulamt stehen diesbezüglich auch in Absprache
zueinander und keinesfalls in einem Konkurrenzverhältnis.
Sie
haben also mit beiden Schulämtern gleichermaßen positive Erfahrungen
gemacht, was die Bereitschaft betraf, Kinder von Einwanderern und Flüchtlingen
aufzunehmen?
Ja,
man kann vielleicht sagen, dass die italienische Schule früher von
diesem Phänomen betroffen war. Das italienische Schulamt hat somit
früher begonnen, kulturelle Unterschiede und sprachliche Barrieren
didaktisch aufzubereiten, z.B. über den "mediatore culturale",
den es in den deutschen Schulen erst seit kurzem gibt. Da hat das italienische
Schulamt sicher Vorarbeit geleistet. Nun zieht auch das deutsche Schulamt
nach und versucht, vor allem in der Pflichtschule, für den Lehrkörper
spezifische Hilfen bereitzustellen.
Wird
die Verteilung gleich bleiben, oder wird auch die deutsche Schule vermehrt
Einwandererkinder aufnehmen?
Dies
wird sehr stark davon abhängen, wo sich die Einwandererfamilien niederlassen.
Da sind natürlich die städtischen Gebiete, die auf beiden Sprachgebieten
Schulangebote bereitstellen, dafür prädestiniert, dass die Familien
die Kinder in die italienische Schule schicken, weil wir es eben mit "italienischen-sprechenden"
Einwanderern zu tun haben. Aber wenn die Wohnpolitik des Landes greift,
und das bedeutet: wenn in Südtirol flächendeckend Arbeiterwohnheime
geschaffen werden, wenn viel mehr in die soziale und wohnungsmäßige
Integration investiert wird, dann wird es auch eine Verteilung der Familien
auf das ganze Land geben und dann wird auch die deutsche Schule mehr davon
betroffen sein.
Welche
Aufgaben nimmt die Caritas in der Zusammenarbeit mit den Schulbehörden
im Bereich der Integration von Einwandererkindern wahr?
Als
Caritas arbeiten wir im schulischen Bereich auf verschiedenen Ebenen.
Was die bosnischen Flüchtlinge betrifft, da gab es die beiden Ansammlungen
in Mals und in Wiesen-Pfitsch. Dort habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht,
gerade auch mit den Inspektoren des Schulamtes. Ein zweiter Aspekt ist
jener, den wir hier in Bozen betreuen, das betrifft die Kinder von Einwandererfamilien
bzw. auch die hier in Bozen ansässigen Roma aus Mazedonien. Dort
arbeiten wir auf zweierlei Ebenen: Wir organisieren einerseits das "doposcuola"
und "prescuola". Beim "prescuola" werden die unmittelbar
einzuschulenden Kinder mit unserem Alphabet vertraut gemacht, weil sie
ja muttersprachlich ein anderers kennen. Zusätzlich werden erste
Schritte unternommen, die zukünftigen Schüler mit der italienischen
Sprache vertraut zu machen. Das "doposcuola" richtet sich an
Schüler, die schon in der Schule sind und könnte als eine Art
Ergänzungsunterricht bezeichnet werden. Andererseits arbeiten wir
mit Lehrkräften zusammen um bei Konflikten schon im Vorfeld das Thema
"Ausländer" aufzuarbeiten. Gemeinsam werden Maßnahmen
gesetzt, die die Kompetenz der Lerngemeinschaft Schule erhöhen sollen
mit dem Phänomen der Einwanderung, der Mehrsprachigkeit umzugehen.
Werden
diese Aktivitäten allein von der Caritas getragen?
Dies
sind Aktivitäten, bei denen wir vom Land, von der Abteilung für
Sozialwesen unterstützt werden, wir bekommen dafür einen Beitrag
von bis zu 60-70%. Ich halte die Stützmaßnahmen für besonders
wichtig. Wenn man die Statistik der Astat anschaut, dann sieht man, dass
die Durchfallquote der Kinder aus einheimischen Familien in der Pflichtschule
wesentlich geringer ist als jene bei den Einwandererkindern. Hier muss
die Schule ansetzen. Es muss verhindert werden, dass diese ausländischen
Jugendlichen in der Pflichtschule durchfallen, vor allem in der Abschlussphase
der Mittelschule. Wer den Abschluss nicht hat, sinkt ab in sogenanntes
"sozialdeviantes" Verhalten, was immer das dann sein mag. Wir
müssen uns dafür einsetzen, dass die betroffenen Schüler
die Leistungen, die von der Gesellschaft eingefordert werden, erreichen,
damit sie sich danach auch in den Arbeitsentwicklungsprozess eingliedern
können. Die gegenwärtige Drop-Out-Quote bei Ausländerkindern
ist erschreckend. Sie zu mindern ist eine der Prioritäten, die in
Zukunft auf diesem Gebiet gesetzt werden müssten.
Wie
begleiten die Einwanderereltern die Schulkarriere ihrer Kinder?
Das
ist sicher ein Problem, weil in den Kreisen der Einwanderer die Kindererziehung
hauptsächlich als Aufgabe der Mutter gesehen wird, diese aber - allein
gelassen - häufig überfordert ist. Man kann z.B. nicht erwarten,
dass eine ausschließlich arabisch sprechende Mutter überhaupt
noch versteht, was ihr Mittelschülerkind lernt. Hier nehmen die Mediatoren
und Kulturvermittler eine wichtige Rolle ein. Es muss nach Wegen gesucht
werden, die Eltern in die Schularbeit mit einzubinden, die die Wichtigkeit
der Sache oft gar nicht erkennen, die aus einem Kulturkreis kommen, in
dem schulische Ausbildung nicht jenen Stellenwert einnimmt wie bei uns.
Wie
steht es mit den Ressentiments der einheimischen Eltern gegenüber
Ausländerkindern?
Natürlich
gibt es auch Ablehnung zwischen Schülern, es gibt Ressentiments von
Seiten der Eltern, ganz gleich welcher Sprachgruppe. Ich glaube, dass
es sich bei diesem Phänomenen um eine Minderheit handelt, die im
konkreten Fall natürlich sehr laut werden kann. Ansonsten habe ich
schon die Erfahrung gemacht, dass hier sich viele Probleme lösen
lassen, die oft auf Unwissenheit oder auf nicht wahrnehmen wollen fußen,
sofern man in Kontakt treten kann mit den Eltern, wenn man diskutieren
kann, wenn man erklären kann. Wenn man da Zugang findet, kann einiges
bewirkt werden.
Sie
haben also die Erfahrung gemacht, dass Befürchtungen von Leistungsabfall
in Klassen mit Einwandererschülern sich nicht bewahrheitet haben,
dass auch den Eltern ihre Ängste genommen werden konnten?
Absolut!
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf unsere Erfahrungen
in Mals zurückgreifen. Zu Beginn wurden eigene bosnische Klassen
zusammengestellt, es entstand ein Ghetto innerhalb der Schule. Wir sahen:
so kann das nicht weitergehen, vor allem als sich abzeichnete, dass die
Flüchtlinge länger bleiben würden. Die Schüler wurden
also auf die Schulen der Umgebung verteilt. Jede Klasse bekam 1 -3 Schüler.
Da waren die Ängste von Seiten der Eltern sehr groß. Aber ich
muss sagen, dass es den Direktionen gelungen ist, durch Elternabende und
andere Initiativen das didaktische Konzept zur Zufriedenheit der Eltern
darzustellen. Es waren Ängste da, aber bei der abschließenden
Befragung haben die Eltern im Großen und Ganzen von einer guten
Erfahrung für ihr Kind gesprochen.
Die
Caritas ist ja eine religiöse Institution. Wie wird der Umgang mit
den verschiedenen Religionen gehandhabt?
Ich
denke, die religiöse Praxis der Einwanderer ist zu respektieren.
Sie üben sie auch zum Teil aus, nicht alle gleichermaßen, wie
es ja auch bei uns der Fall ist. Hier gilt es, glaube ich, großen
Respekt an den Tag zu legen, nicht aktiv zu missionieren, Möglichkeiten
zu schaffen, diesen Glauben auszuüben. Das kann bedeuten, dass in
der Schule von den Religionen gesprochen wird, die ja oft genug gemeinsame
Wurzeln haben. Und man muss den Kindern auch die Freiheit geben, dem Religionsunterricht
fernzubleiben. Nicht-christliche Kinder sind aber durchaus einbindbar
in einen Martinsumzug, in eine Nikolausfeier. Wichtig ist, dass man dem
Kind die Gelegenheit gibt an der Kultur des Landes teilzuhaben, dabei
aber nicht vermittelt, es müsse so sein wie wir.
Vielen
Dank für das Gespräch.
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