Kein "K" in Patato

 

Gerhard erzählte nie etwas von seinem Heimatland.

 

 

 

 

 

 

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"Gerhard gehört zu uns."

 

 

 

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Der Vater sagt, dass der Besuch der Erstkommunion negative Folgen für die Familienmitglieder im Heimatland bringen würde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Erfahrungsbericht aus der Chini-Grundschule, Bozner Boden

Von Veronika Gufler

Auf der Adressenliste, die ich vor Unterrichtsbeginn in die Hand gedrückt bekam, standen zwei für unser Gebiet außergewöhnliche Namen. Die Schulleiterin bestätigte die Vermutung, dass Ausländerkinder in meine Klasse eingeschrieben waren. Mit vielen Fragen und Unsicherheiten stand ich vor einem neuen Schuljahr.

Ich unterrichtete bisher in Schulen in ländlicher Umgebung, von Ausländerkindern war da nie die Rede. Dies war für mich ganz weit weg. Im letzten Schuljahr nahm ich eine Stelle in der deutschsprachigen Chini - Schule am Bozner Boden an. Erwartungsvoll ging ich dem ersten Schultag entgegen. Werden die zwei mich überhaupt verstehen? Sprechen sie schon ein bisschen Deutsch?...

In der Vorbereitung auf die ersten Stunden überlegte ich mir einige Kennenlernspiele und ein kurzes Kasperltheaterstück. Für den Fall, dass Gerhard und Ina wegen der anderen Religion nicht am Eröffnungsgottesdienst teilnehmen würden, erklärte sich eine Kollegin bereit, die zwei inzwischen zu betreuen. Aber alles kam ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ina, so teilte mir die Direktion am Telefon mit, würde nun eine italienischsprachige Grundschule besuchen, und von Gerhard gab es in den ersten Unterrichtstagen keine Spur. Ich versuchte natürlich in Erfahrung zu bringen, was mit ihm los war - aber die Direktion konnte mir keine Auskunft geben, und auch am Telefon meldete sich niemand.

Nach einer Woche klopfte es kurz nach Unterrichtsbeginn an die Klassentür. Ich öffnete und sah einen weinenden Jungen mit seinem Vater. Es war Gerhard, der Junge aus Tirana (Albanien). Sein Vater erklärte mir, dass sie erst gestern von ihrem Heimatland nach Bozen zurückgekehrt seien. Es gelang mir Gerhard zu überreden, in die Klasse zu kommen, um seine Mitschüler zu begrüßen. Das Kennenlernspiel "Mein rechter Platz ist leer, ich wünsche mir den ... her" bot sich als eine Gelegenheit an, die Kinder miteinander bekannt zu machen. Gerhard beobachtete das Spiel sehr genau und verstand bald, worum es ging und was zu sagen war. Als Gerhard auf den leeren Platz gerufen wurde, richteten sich alle Blicke auf ihn. Er reagierte ein wenig verlegen. Gemeinsam schafften wir es dann aber den Spruch zu wiederholen und das Spiel ging weiter.

Integration in die Klassengemeinschaft

Da Gerhard schon lange in unserem Land lebte und einige Kinder aus der Nachbarschaft und vom Kindergarten her kannte, war die soziale Integration von Anfang an kein Problem. Die Mitschüler akzeptierten den Jungen, so wie er war. Sara, eine Mitschülerin, antwortete auf die Frage, wie sie sich mit Gerhard verstehe, und wie sie ihn als Mitschüler akzeptiere: "Gerhard gehört zu uns."
Auch Gerhard fühlte sich sichtlich wohl. Gerne stand er im Mittelpunkt und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. Er war stets von Kindern umgeben.

Sprache

Die Hochsprache, aber vor allem den Dialekt konnte Gerhard schon recht gut verstehen. Allerdings sprach er anfänglich nur sehr wenig und verfügte über einen sehr geringen Wortschatz. Jedes Wort musste ihm aus dem Mund gezogen werden, er äußerte sich in der Klasse kaum spontan. Nie berichtete er von seinen Wochenenderlebnissen, Familienfeiern... Wenn er sprach, dann nur im Dialekt. Meine Arbeitsanweisungen verstand er meistens und bemühte sich dem Unterrichtsgeschehen zu folgen. Ab und zu war das auch lustig: Einmal fragte ich die Kinder, wo sie das "k" im Wort "Kartoffel" hörten: vorne, in der Mitte oder hinten? Gerhard antwortete überzeugt: "Kein "k" in Wort Patato!"

Die Eltern sprachen mit dem Kind nur Deutsch oder Italienisch. Sie versuchten Gerhard so gut wie möglich mit unserer Sprache und Kultur bekannt zu machen, schienen es aber zu versäumen, dem Jungen die eigene Kultur zu vermitteln. Gerhard erzählte nie etwas von seinem Heimatland. Auch schämte er sich Wörter in die albanische Sprache zu übersetzen.
Da Gerhard das einzige Ausländerkind in meiner relativ kleinen Klasse war, konnte ich ihn im Unterricht gut betreuen. Sicherlich benötigte er ab und zu eine Zusatzerklärung und ich musste ihn öfters unterstützen als andere Kinder - aber Gerhard lernte schnell. Sein Einsatz und sein Lerneifer wirkten sich positiv auf die Sprachfortschritte aus. Zudem besuchte er am Nachmittag einen Sprachkurs. Es war für mich toll zu sehen, wie gerne er arbeitete.


Religion

Der Vater stand unserer Religion recht offen gegenüber, er ließ Gerhard sogar am Religionsunterricht teilnehmen. Auch durfte der Junge alle Feste wie Weihnachten oder Nikolaus mitfeiern. Im heurigen Schuljahr - so berichtete mir die neue Klassenlehrerin - stellt der Besuch der Erstkommunion ein Problem für den Schüler dar. Gerhard würde natürlich gerne mitfeiern und die Kommunion erhalten, seine Religion erlaubte dies aber nicht.
Der Vater sagt, dass der Besuch der Erstkommunion negative Folgen für die Familienmitglieder im Heimatland bringen würde. Er wünscht sich, dass Gerhard am Altar mitfeiert, die Kommunion aber nicht erhält.


Glückliches Kindergesicht

Unsere Klasse beteiligte sich am Malwettbewerb zum Thema: Zeichne dich und dein Lieblingstier. Gerhard machte natürlich auch gerne mit und zeichnete sich und einen Löwen. Normalerweise gab er sich beim Zeichnen und Malen keine große Mühe, auch dieses Bild war in kürzester Zeit fertiggestellt. Gespannt nahm die ganze Klasse im Mai an der Verlosung der Gewinner teil. Gerhard war sehr erstaunt, als er als Klassensieger der ersten Klasse aufgerufen wurde. Überglücklich stürmte er aufs Podium, um seinen Preis abzuholen. Die Freude war ihm ins Gesicht geschrieben. Er konnte sich kaum mehr beruhigen.


Rückblick

Dieses Schuljahr war eine interessante Erfahrung für mich. Wobei ich sagen möchte, dass ich Glück hatte, dass die Integration des Schülers und auch die Arbeit mit dem Schüler so problemlos zu bewältigen war. Ich habe von einigen Kollegen/innen gehört, dass dies nicht so selbstverständlich sei, und dass so mach eine/er mit vielen Problemen in Bezug auf Ausländerkinder in der Grundschule konfrontiert wurde.