"Wie um alles in der Welt organisiert ihr das?"

von Elisabeth Thaler


Lehren und Lernen an einer mehrsprachigen Grundschule

 

Auf Tagungen, internationalen Konferenzen und Sprachworkshops werden wir, die Lehrenden an der "Atlanta International School", der "Ecole Internationale d'Atlanta", dem " Colegio Internacional de Atlanta", der "Internationalen Schule Atlanta" immer wieder nach der curricularen und organisatorischen Verwirklichung dieses viersprachigen Schulmodells befragt. Mit Staunen folgen Kollegen und Administratoren dann unseren Versuchen dieses äußerst komplexe und komplizierte Netz zu beschreiben.

Ein Lehrplan in zwei Sprachen

Das Curriculum an der Internationalen Schule Atlanta ("AIS") wird in zwei Sprachen gelehrt und gelernt. Die Schüler verbringen etwa die Hälfte der Zeit in einem Englischklassenzimmer, die andere Hälfte entweder im Französisch-, Spanisch- oder Deutschklassenraum. Die jeweiligen Lehrpersonen sind Muttersprachler und zumindest zweisprachig. Die Inhalte des Lehrplans umfassen den grundschulüblichen Kanon.
Ziel dieses Programmes ist ein umfassend gebildeter Schüler, der am Ende der 5. Klasse (nach 7 Jahren, da er Unterricht mit den Kindergartenklassen ab 4 beginnt) fähig ist, sich in der erlernten zweiten Sprache in deren Herkunftsland oder -gebiet zu bewegen und sprachlich zu behaupten.

Einen Schulalltag mit vier Sprachen planen und organisieren

Da die Anzahl der angebotenen Sprachstunden ausgeglichen bei 50% zu 50% für beide Sprachen liegen sollte, wird die Unterrichtszeit über zwei Fünftagewochen hinweg betrachtet und aufgeteilt. Während die Regel für viele Jahre Halbtage in jeder Sprache waren, sind wir nunmehr zu Ganztagen übergegangen. Die Schüler werden jeweils für einen ganzen Schultag, der um 8:10 beginnt und um 14:45 Uhr endet, entweder in Englisch oder wie in meinem Fall in Deutsch unterrichtet. Jede Klassenstufe hat einen gesonderten Tagesplan mit ihr eigenen Pausen, Mittags- und Fachunterrichtszeiten. Fachunterricht wird in Kunst, Musik und Sport gegeben. In den Kindergartenklassen 4 und 5 K in der Zweitsprache (ich beziehe mich hier natürlich immer auf Deutsch) in den Klassen 1 und 2 wird Musik einmal auf Deutsch, einmal in Englisch unterrichtet, in Kunst arbeitet eine Deutschlehrerin neben der Kunstlehrerin, in den Klassen 3, 4 und 5 schließlich erhalten die Schüler nur noch englischsprachigen Fachunterricht.

Ein Curriculum ausgerichtet auf eine ganzheitliche Erziehung ohne Sprachbarrieren

Das International Baccalaureate Primary Years Program (IBPYP) ist der organisatorische Rahmen für das schuleigene Curriculum, in welchem die Erwartungen des Dachverbandes der internationalen Schulen mit den landestypischen der vier vertretenen Sprach- und Kulturräume sowie unseres Gastlandes vereinigt werden.
Das IBPYP Rahmenprogramm will den Schüler als Gesamtpersönlichkeit betrachtet wissen und übergibt dem Lehrer eine allumfassende Erziehungsaufgabe. Er ist also neben einem Sprach- und Wissensvermittler auch ein Wertevermittler, ein Lehrender von Konzepten, Fähigkeiten und Fertigkeiten und er hat auch die Aufgabe, den Schülern Wege aufzuzeigen, wie sie am Leben der Gesellschaft unterstützend teilhaben können. Das IBPYP Curriculum will Schüler erziehen und ausbilden, die forschen, selbständig und kreativ denken, sich in mindestens zwei Sprachen ausdrücken können, sich vor Risiken nicht scheuen, die sich ein profundes und breites Wissen aneignen, Werte entwickeln, Fürsorge zeigen, aufgeschlossen sind und persönlich ausgeglichen und zuletzt Schüler, die über sich selbst und ihre Umgebung reflektieren.

Die Unterrichtsmethode reflektiert den Lehrplan

Ein Lehrplan, der sich in diesem IBPYP Rahmen bewegt, sieht eine möglichst fächerübergreifende und projektorientierte Unterrichtsmethode vor, die, wo sinnvoll und durchführbar, alle Lernbereiche einbezieht, so auch Kunst, Musik oder Sport. Die Schüler lernen sich zunehmend eigenständig Informationen zu beschaffen und ein Thema zu erarbeiten. Circa 40% bis 60% der Unterrichtszeit sind in beiden Sprachen diesem entdeckenden Lernen zugerechnet.

Allumfassend und sinnvoll ergänzt

In diesem Lehrplan haben auch der Mathematikunterricht in deutscher Ausrichtung, die Sprachlehre, Grammatik, Lesen, Schreiben und auch die Vermittlung deutscher Traditionen und deutschen Kulturgutes und Brauchtums noch ihren Platz. Die Inhalte der Mathematik und die Bereiche des Sachunterrichts werden thematisch festgelegt und zwischen der Englisch-und Deutschklasse sich ergänzend aufgeteilt. Thema ist z.B "Der menschliche Körper" und in der Englischklasse lernen die Schüler zu den Unterbereichen Kreislauf und Atmung, in der Deutschklasse lernen sie die Systeme Skelett, Muskeln und Nervensystem näher kennen.

Planen über die Sprachen hinweg

Um dem Anspruch eines einheitlichen Lehrplans gerecht zu werden, der in zwei Sprachen unterrichtet wird, müssen wir Kollegen über die vier Sprachen hinweg gemeinsam planen, Inhalte aufteilen, uns so nahtlos wie möglich ergänzen. Zu diesem Zweck werden wöchentlich zumindest zwei Treffen pro Klassenstufe abgehalten. Um die Kongruenz des Curriculums und seine Verwirklichung auch über die Klassenstufen hinweg sicherzustellen, gibt es regelmässige Treffen der sogenannten "grade level leaders", der gewählten Vertreter einer jeden Stufe, gibt es aber auch Besprechungen in den einzelnen Sprachabteilungen und Treffen der "language coordinators", der Leiter der Sprachabteilungen mit der Administration.


Mithilfe der Eltern beim Spracherwerb

Die Schule macht allen anfragenden Eltern von Beginn an klar, dass ihre aktive Beteilung neben dem intrinsischen Interesse daran, dass ihr Kind eine zweite oder dritte Sprache erlernen soll, ein unbedingter Bestandteil unseres Vertrages ist und auch eingefordert werden wird. Eltern sollten also z.B. Deutsch lernen, ihre Kinder möglichst oft der Sprache aussetzen (Unterstützen von Freundschaften mit Muttersprachlern, auf Reisen, durch Aufnahme eines Aupairs, Beteiligung am Austauschprogramm der 5. Klasse, Kauf deutscher Literatur, Videos, Kassetten und Software), die Fortschritte ihrer Kinder beachten und positiv verstärken.

Gesunder Realismus

Das Erlernen einer zweiten Sprache zieht sich über viele Jahre hin und Zweisprachigkeit, wie sie oft von den Eltern erhofft und erwartet wird, ist auch nach Abschluss der Grundschulzeit am Ende der 5. Klasse nicht erreicht. Die mündliche Sprachfähigkeit liegt bei den meisten Schülern auf einem spürbar höheren Niveau als ihre schriftliche. Die Erfahrungen haben aber gezeigt, dass sich alle Schüler in den einsprachigen Klassen, deren Gäste sie während ihres Austauschbesuches im 5. Grundschuljahr waren, gut behaupten konnten.

Schulinterne Unterstützung

Um schulweit möglichst hohe und breitgestreut gute Lernerfolge zu erreichen ist die AIS personell optimal bestückt. Klassenstärken sollten nicht über 15 Schüler hinausgehen. Eine erfahrene Spezialistin arbeitet mit Kindern, die Lernschwierigkeiten haben, eine Schulpsychologin hilft bei seelischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten. In allen Deutschklassen arbeiten wir Kolleginnen an den Tagen, an denen wir unsere eigene Klasse nicht unterrichten, als "supportteacher" oder unterstützende Lehrkraft in einer oder mehreren unserer Deutschklassen und helfen einzelnen Schülern oder kleineren Schülergruppen. Im Falle von neuen Schülern ohne jegliche Deutschkenntnisse werden diese zeitweise auch aus ihrem Englischunterricht genommen und zusätzlich unterstützt. Die Schule achtet bei der Aufnahme neuer Schüler unter anderem darauf, dass die Zahl muttersprachlicher Kinder in einer Klasse mindestens 30% beträgt, um auf diese Weise ein höheres Sprach- und Anspruchsniveau sicherzustellen.

Sprachenlernen - kein leichtes Unterfangen

Auch bei größtmöglicher Unterstützung und Spezialhilfe gibt es Fälle, wo Eltern ein Schulwechsel für ihr Kind angeraten wird und im Extremfall wird ein Schüler für das folgende Schuljahr nicht wieder eingeladen.

 

Die Internationale Schule Atlanta in Atlanta, Georgia, USA, ist eine Privatschule, besteht seit 1985 und führt 14 Jahrgänge (Kindergarten bis Diplomabschluss) mit insgesamt knapp 800 Schülern. Elisabeth Thaler ist seit mehreren Jahren an dieser Schule als Deutschlehrerin und Sprachabteilungsleiterin tätig.