PRO Entfernung ist ein Auslaufmodell
|
CONTRA Digitale Mogelpackung statt
Nürnberger Trichter |
|||
![]() |
||||
"Das Ende der Entfernungen bedeutet", so The Economist, "dass alle Aktivitäten, bei denen ein Bildschirm oder ein Telefon eingesetzt wird, an jedem Ort der Welt ausgeführt werden können". Wahrscheinlich befinden wir uns mitten im tiefgreifendsten Wandel seit dem Beginn der industriellen Revolution und die cleveren Jungen zeigen uns den Weg. Die Schule muss sich um alle kümmern, denn mit Computern haben alle zu tun! Der Computer hält im Hier und Jetzt weiterhin unaufhaltsam Einzug - beständig und für Jugendliche von unschätzbarem Wert, nicht nur in technischer, sondern auch in sozialer Hinsicht. Auf den Schreibtischen von Kindern und Hausfrauen breiten sich Computer aus - die finanzkräftigen Väter versuchen am Ball zu bleiben und zumindest dem Abend ein paar Stunden Internet abzutrotzen. Kein Arbeitsplatz kommt mehr ohne Computer aus, er wird zum idealen Medium für schnelle Kommunikation und erleichtert auch behinderten Menschen den Einstieg ins Berufsleben. Guter Computer-Unterricht für alle Der Erziehungsauftrag ist aktueller denn je. Es droht die Gefahr einer
Zwei-Klassen-Gesellschaft in der sich "user" (Benutzer) von
"nicht-usern" unterscheiden. Bei "Word" kann ja noch
jeder mitreden, aber ob im Internet ein Schüler mehr findet als sucht,
ob er nicht nur Moorhühner abschießen kann, mp3 Dateien herunterladen
oder bei winamp mitreden und ob er spätestens im Triennium eine Ahnung
von Excel bekommt, hängt mitunter von der Schulwahl und vom Engagement
der Lehrer/innen bzw. vom umsichtigen Einsatz der Finanzmittel ab. Computer und Fachwissen Die Schule hinkt hinterher. Die Programme sind wesentlich älter
als die zuhause im Wohnzimmer. Das Lehren und Lernen in Computerräumen
will gelernt sein und jahrzehntelang gehegter und gepflegter Fächerkanon
und Fachkompetenz können nicht so leicht mit den Idealvorstellungen
von Zusammenarbeit, Fehler machen dürfen und Lernbegleiter vertauscht
werden. Aufklärung macht mündig So wie die Schule auf Gefahren im Straßenverkehr, auf die Gefahren
einer ungesunden Lebensführung oder auf die Gefahren einer potentiellen
Begegnung mit den Scheußlichkeiten des Lebens hinweist, vorbereitet
und zum aufgeklärten Umgang erzieht, wird sie auch nicht umhin können,
auf die Gefahren von brutalen Computerspielen oder die schlimmsten aller
Internetseiten hinzuweisen. Fest steht, dass es nicht mehr "ohne" geht, wenn wir unsere Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern erziehen wollen - zu Bürgern, die sich von keinem Webmaster und seinen Links hinters Licht führen lassen wollen, sondern die selbstbewusst klicken, surfen und das finden, was die unbegrenzten Möglichkeiten sonst noch alles zu bieten haben. Uschi Pulyer |
Allerorten gehen die digitalen Einpeitscher um: "Alle Schulen ans Netz!" "Laptop statt Schulranzen!" Aus allen Pädagogenstuben schallt es uniform nach Multimedia-learning, elektronischem Klassenzimmer, E-mail im Sprachenunterricht, interaktiver Lernumgebung, online-learning... Die pädagogische Welt ist voll von Internet-Aposteln und e-Euphorikern.
Kaum ein bildungspolitisches Statement, wo Zuhörer nicht die Worthülsen
von der "Computerliteralität als vierter Kulturtechnik"
in die Ohren zu blasen und ihn geradezu flehentlich auf die absolute Priorität
von "Medienkompetenz" als "Schlüsseltechnologie"
für die neue "Wissensgesellschaft" hinzuweisen. Kaum ein
neumodisches Schul-Ranking, in dem nicht das bloße Vorhandensein
von PC und Internet als pädagogisches 5-Sterne-Kriterium für
Schulqualität gilt. Kaum noch ein Schulkollegium, das nicht vor dem
Kult und religiösen Übereifer der digitalen Revolution in die
Knie geht wie vor einem Naturereignis. Auffallend ist bei alldem, wie die Pädagogik das Feld nahezu gänzlich der Politik, Werbestrategen der Technologiebranche sowie selbsternannten Medien-Gurus überläßt. Vorbei die Zeiten, als es für derartig umfassende Veränderungen in der Schule noch Begründungen, pädagogische Konzepte, Versuche und aufwendige Evaluation brauchte. Und was tun die Schüler dann im world wide web? Englischsprachige Zeitungsartikel suchen, um sie mittels digitalem Wörterbuch zu übersetzen? In elektronischen Informationsabgründen zeitintensiv nach Wissen fischen, obwohl man das meiste auch in einem guten Schulbuch, Lexikon oder schlicht und einfach in einer Zeitung lesen kann? E-Mails senden, Fahrpläne studieren, Musik und Lernspiele herunterladen, Homepages? Das bringt sicher Plus an anschaulich "Spielerischem", aber bei allem "easy-learning" bleibt am Ende doch, was Susanne Gaschke in Die Zeit beschreibt: Das harte Substrat eines Faches, das gelernt werden muß; ein letztlich immer anstrengender Akt, den kein Bildchen und keine Toneinspielung dem Einzelnen je abnehmen kann. Obwohl in den meisten Berufen überhaupt keine großen Computerkenntnisse notwendig sind, ist der Druck von Eltern auf die Schule groß. Im grassierenden Internet-Fieber fürchten sie, ihre Kinder könnten das Rennen um gute Jobs verlieren. Aber nicht einmal der Pilot eines großen Flugzeuges muß Computerexperte sein, um den Autopiloten zu "programmieren", sagt Joseph Weizenbaum, Computerpionier vom Massachusetts Institute of Technology. "Klick! Arbeite nicht, denke nicht, klick einfach auf etwas anders. Wenn du nicht magst, was du siehst, klick dich woanders hin" - das Web als hervorragende Methode, das Denken zu vermeiden. Als "Musterschüler im Vergessen" bezeichnet der Leiter des Beethoven-Gymnasiums in Berlin die Generation@. Seine Diagnose: Die Mehrheit verfügt über wenig Neugierde, kann sich schlecht konzentrieren, ist kaum körperliche Anstrengung gewohnt und sucht den unmittelbaren Erfolg und eine schnelle Abfolge von Reizen. Die neuen Medientechnologien werden die übertrieben euphorischen Erwartungen von einer Revolution des Lernens nicht erfüllen. Statt sie zu globalen pädagogischen Erlösungsmaschinen hochzustilisieren, sollte man sie deshalb ganz nüchtern als Werkzeuge schätzen. Heinz Zangerle
P.S.: Selbstverständlich benützt auch der Autor für seine Arbeit gerne einen Computer - als formidables Werkzeug und er ist über email |