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Sprungfedern im Logo des KSL - von Maria Vötter

Von der Selbstführung des Lehrers zur gegenseitigen Stärkung der Identität

 

"Lehrer/in sein: Überlegungen zum Berufsbild", so lautete das Thema der Pädagogischen Tagung des Katholischen Südtiroler Lehrerbundes, die am 6. September 1999 in Terlan und am darauf folgenden Tag in Brixen stattfand. KSL-Obmann Paul Niederwolfsgruber konnte eine äußerst zahlreiche Teilnehmerschar aus allen Landesteilen begrüßen.
Der Referent Claude Bollier aus Zürich ging einerseits auf wichtige schulische Veränderungen der letzten Jahrzehnte ein, zeigte andererseits aber auch Perspektiven auf. Ein Berufsleitbild nach dem Vorbild des LCH und Standesregeln, die auf Konsens in der Lehrerschaft gründen, könnten wegweisend sein. Die Inhalte des Referates werden hier in stark gekürzter Form wiedergegeben.

Claude Bollier verwies auf drei wesentliche Einflussfaktoren, die sich auf die berufliche Situation von Lehrerinnen und Lehrern auswirken:

Die Schule hat ihr Bildungsmonopol verloren. Neue Medien, Freizeitkurse, die mobile Gesellschaft, aber auch die Wirtschaft und Forschung stellen den Wert schulischen Wissens oftmals in Frage. In den letzten Jahren wurde das Gewicht zunehmend auf formale Lernziele, Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen verlagert. Gefordert werden erweiterte Lernformen und Lehrpersonen, die sich als Lernberater und -begleiter verstehen.

Spürbare Unsicherheiten

Verglichen mit den 60er Jahren gehen Erziehende heute mehr kommunikativ und verhandlungsbereit als autoritär vor. In Kleinfamilien ist es möglich, individuellen Bedürfnissen und persönlichen Interessen nachzugehen. Die heutige Schulklasse mit 20 Kindern ist mit dem Problem großer Heterogenität konfrontiert. Und zudem dürften sich Erziehungsprobleme zugespitzt und auf die Schule verlagert haben. Gewaltphänomene, Gesundheits- und sprachliche Verständigungsprobleme sind elementare Themen, die bisher vom Elternhaus bearbeitet wurden.

Die Schule werde nicht darum herumkommen, soziales Lernen und politische Bildung, also Solidarität, interkulturelle Kontakte, Gewaltprävention, Selbstbestimmung u. a. in einem sozial-integrativen Stil nicht nur zu vermitteln, sondern auch einzuüben. Die Erziehung meldet sich im Kleid der 90er Jahre zurück. In der Situation des Umbruchs ist der Erziehungsvertrag jedoch unscharf geworden.

Rollenwandel und Schulautonomie

Der Trend "vom Einzelkämpfer zum Kollegium" ist vielversprechend, weil er - nach einer Startphase - pädagogische Zusammenarbeit, gemeinsame Projekte, eine Vereinfachung der Kompetenz- und Entscheidungswege und der Verantwortlichkeiten erwarten lässt. Für viele Kolleginnen und Kollegen bedeute die Hinwendung zur Betriebsgemeinschaft Schule aber einen neuen Arbeitsvertrag, den sie sich so nicht gewünscht hätten.

Politische Steuerungs- und Finanzprobleme sind zentrale Themen des Staates an der Jahrtausendwende. Ein effizienter Einsatz der Mittel und eine optimale Vorbereitung der Schüler/innen auf neue gesellschaftliche Verhältnisse müssen gewährleistet werden. Als Inhalte rücken internationale Sprachen und technische Kommunikationsmittel ins Blickfeld, als Organisationsform autonome Schulen. Entscheidende Bedeutung für eine produktive Weiterentwicklung der Schule haben die Führung, die Teamarbeit, die eigene Budgetverwaltung und die Qualitätssorge.

 

Personelle und zeitliche Ressourcen für neue Aufgaben

Es wird notwendig sein, für zusätzliche Aufgaben die entsprechenden Ressourcen zu beschaffen. Autonome Schulen, aber auch Teams und allenfalls Einzelpersonen sollten externe Unterstützung erhalten, sei es durch Fortbildung, Supervision oder Organisationsberatung und Coaching. Zusammenarbeit der Schulen untereinander, ein Austausch über Erfahrungen und Methoden und gegenseitige Besuche über die örtlichen und Landesgrenzen hinaus seien sehr wirksam, auch und besonders für Schulentwicklung.

 

Idealisierungen und Burn-out-Gefährdung

Die Vielfalt und Attraktivität der Aufgaben gewährt Lehrerinnen und Lehrern viel Freiheit und macht aus dem Beruf einen mehr künstlerischen als technischen. Von seiner Handlungsstruktur her ist der Lehrerberuf durch eine offene, wenig definierte und zum Teil widersprüchliche Aufgabenvielfalt, durch Erfolgsunsicherheit, durch eine hohe, aber wenig fassbare Arbeitszeitstruktur, durch den Mangel an einer allgemeinen Fachsprache und durch eine stark personale und idealisierte Wahrnehmung dieser Aufgaben gekennzeichnet.

In seiner Offenheit und Personenzentriertheit ist der Lehrerberuf jedoch auch gefährdend. Er kann in erhöhtem Maß als belastend erlebt werden - bis hin zum Burn-out. Diese Tendenz wird verstärkt durch mangelhaftes externes Feedback und ungenügende Stützung im Kollegium.

 

Standespolitische Perspektiven

Dem LCH (Lehrerinnen und Lehrer SCHWEIZ) ist es gelungen, in einem wenig definierten Terrain mehr Klarheit zu finden und aus der Defensive heraus zu gelangen. Das Berufsleitbild des LCH (erste Fassung 1993; überarbeitete, aktualisierte Zweitauflage 1999) und die Standesregeln (1999) sind die Ergebnisse langer und intensiver Meinungsbildungsprozesse der im LCH organisierten Schweizer Lehrerinnen und Lehrer.

Die Standesregeln gliedern sich in drei Gruppen:

 

Selbstführung und Standesregeln

Am Anfang steht die Selbstführung des Einzelnen, die auf vier einfachen Fragen gründet:

Standesregeln können die Selbstführung und Selbstverantwortung des Lehrers unterstützen und auf drei weiteren Ebenen angewandt werden: in der Aus- und Fortbildung, in der Selbstevaluation von Schulen und Schulhausteams und in der Krisenintervention. Das alles sind Aufgaben der Schulen bzw. Schulbehörden. Was ein Verband leisten kann, ist Unterstützung, Beratung, allenfalls Begleitung.

Standesregeln und ihre Anwendung sind zuerst Sache jeder einzelnen Lehrperson. Präventiv können Standesregeln wirken, wenn sie für kollegiale Feedback-Gespräche, die Auseinandersetzung um gemeinsame Ziele, die pädagogische Haltung und Evaluationen verwendet werden. Es ist wichtig, dass Standesregeln als Schutz und Sicherung verstanden werden.

 

Wie geht es nach der Tagung weiter?

Interessierte Lehrer/innen und Direktoren können das Tagungsreferat von Claude Bollier beim Katholischen Südtiroler Lehrerbund (Bozen, Schlernstr. 1) anfordern.

Der KSL macht sich stark für ein Berufsleitbild, das die Lehrer/innen verbindet: durch Professionalisierung, Stärkung der beruflichen Identität und Solidarität. Mitarbeiter/innen des KSL arbeiten in Workshops am Thema der Tagung weiter. Der ASM soll auch dafür gewonnen werden. Die ersten Fragen lauten: Wollen auch unsere Lehrer/innen ein Berufsleitbild entwickeln? Wie kann ein solcher Prozess eingeleitet werden?

Der Reigen ist eröffnet. Es soll ein sportlicher Tanz werden: mit Turnschuhen auf Sprungfedern.

 


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