Worte sind Fenster oder Mauern

Gewaltfreie Kommunikation wird auch als „Giraffensprache“ bezeichnet, denn die Giraffe ist das Landtier mit dem größten Herzen. Die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen und welche Worte wir dabei benützen, kann entweder zu Harmonie oder zu Konflikten führen, kann Menschen verbinden oder trennen.

von Paula Maria Ladstätter

In der Praxis geht es zunächst immer darum, das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation  (s. eigenen Beitrag) mit ihren vier Schritten oder Grundkomponenten darzulegen:

  • Beobachten, was genau passiert ist, ohne zu urteilen oder zu bewerten.

  • Gefühl erspüren, das ich habe, wenn ich eine Beobachtung mache.

  • Bedürfnis erkennen, das hinter einem Gefühl steht.

  • Bitte aussprechen, was konkret getan werden kann, um das Bedürfnis zu erfüllen.

Diese vier Komponenten beziehen sich auf zwei Seiten der Kommunikation: zum einen auf  Ich-Botschaften (d. h. sich den anderen in der Ich-Form offen und aufrichtig mitteilen), zum anderen auf die Empathie (d. h. den anderen einfühlsam begegnen).

 

PROJEKT ZUR GEWALTFREIEN KOMMUNIKATION

Das Projekt mit dem Titel „Worte sind Fenster – oder sie sind Mauern“ wendet sich an Kindergärten und Grundschulen in Südtirol. Lehrpersonen, Schüler/innen und Eltern lernen gemeinsam die Gewaltfreie Kommunikation kennen.

In erster Linie lernen die Schüler/innen, wie sie Gefühle, Bedürfnisse und Gedanken ausdrücken, ohne andere anzuklagen oder zu kritisieren. Sie üben sich darin, unvoreingenommen auf das zu hören, was andere sagen möchten. So versetzen sie sich in die Lage, sich selbst und andere besser zu verstehen. Wortwahl und Sprachempfinden werden geschärft. Das Selbstvertrauen und die sozialen Fähigkeiten der Schüler/innen werden gestärkt. Das Verständnis zwischen Kindern und Erwachsenen wächst, was zu mehr Wertschätzung und einem achtsameren Umgang in Schule und Familie führt. Lehrkräfte entwickeln mehr methodische Flexibilität, um die Schüler/innen in ihren Veränderungsprozessen zu begleiten und zu unterstützen.

Das hier beschriebene Projekt wurde vor zwei Jahren das erste Mal mit in einer 3. und  4. Klasse in der Grundschule von St. Georgen durchgeführt.

Die Lehrpersonen nahmen zunächst an einem eintägigen Einführungsseminar der Gewaltfreien Kommunikation teil und trafen sich danach einmal im Monat für zwei Stunden (insgesamt fünf Mal) mit mir, um schwierige Konfliktsituationen, die im Zusammenhang mit den Projektinhalten aufgetaucht waren, zu bearbeiten. Diese Folgetreffen waren für die Nachhaltigkeit des Projektes sehr wichtig.

Die Eltern der Schüler/innen nahmen an einem eintägigen Einführungsseminar teil. Dies war wichtig, damit sie das Konzept und die Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation kennenlernten und befähigt wurden, diese mit den Kindern zu Hause zu üben und zu vertiefen. In der Folgezeit kamen sie insgesamt fünf Mal zu monatlichen Treffen von jeweils zwei Stunden zusammen.

FAZIT

Das Projekt zog sich über vier Monate hin, die Elterngruppe besteht noch heute. Zwei Lehrpersonen wenden die Gewaltfreie Kommunikation in ihren Klassen an. Vier Mal im Jahr haben die Lehrpersonen weiterhin die Möglichkeit, schwierige Situationen in geplanten Treffen mit mir zu besprechen und zu bearbeiten. Es entstand auch eine Kooperation zwischen der Schule und dem „Pustertaler Bildungsweg“, der die Elternarbeit koordinierte. Momentan führe ich das Projekt im Grundschulsprengel Bruneck durch. Ich bin berührt und dankbar, wenn ich sehe, mit wie viel Engagement und Freude die Lehrpersonen die Gewaltfreie Kommunikation in den Schulalltag integrieren. Das Besondere daran sind der ganzheitliche Ansatz und das gemeinsame Lernen. 

 Projektablauf „Worte sind Fenster – oder sie sind Mauern“

  1. Einheit: Das Giraffenherz und wenn ich eine Giraffe wäre…“

Lernziele:

  • sich selbst als „Giraffe“ erkennen und „Giraffen in anderen“ sehen;
  • die grundlegenden Eigenschaften der Giraffen- und Wolfswelt erfahren;
  • die unterschiedlichen Arten kennenlernen, wie sich Wölfe und Giraffen ausdrücken und zuhören;
  • sich klarwerden, dass jede/r von uns manchmal wie eine Giraffe spricht und manchmal wie ein Wolf.

 

2.     Einheit: „Ich fühle mich wie…“

Lernziele:

  • einen erweiterten Wortschatz für Gefühle entwickeln;
  • die eigenen Gefühle und auch die der anderen erkennen;
  • die Verbindung zwischen Bedürfnissen und Gefühlen verstehen lernen.

3. Einheit: „Ich wünsche mir…“

Lernziele:

  • unsere Wünsche kennen lernen;
  • die unterschiedlichen Arten, unsere Wünsche zu erfüllen und die Möglichkeiten dazu kennenlernen.
  •  

    3.2 „ Hören wir einander? – Die Geschichte von den Ohren“

Lernziele:

  • wir lernen die verschiedenen Arten, wie wir uns und anderen zuhören, kennen und wie wir hören;
  • Möglichkeiten des Zuhörens auswählen;
  • verschiedene Ergebnisse, je nach dem für welche Art des Zuhörens ich mich entschieden habe, zur Kenntnis nehmen;
  • sich klar werden, dass jeder von uns manchmal wie eine Giraffe spricht und manchmal wie ein Wolf.

 

4. Einheit: „Wenn ich zornig bin…“

Lernziele:

  • die Verbindung zwischen Ärger und unbefriedigten Bedürfnissen wahrnehmen;
  • verschiedene Reaktionen, wenn wir oder andere ärgerlich sind, erkennen;
  • erkennen, dass Giraffenohren tragen, nicht „nachgeben“, sondern „sich selbst und anderen zuhören“ bedeutet

 

 5. Einheit: “Giraffen in der Schulklasse“

Lernziele:

  • die Schüler/innen erfahren, welche Gefühle sie haben, wenn sie eine Forderung oder eine Bitte hören;
  • sie erkennen einen Unterschied in den Gefühlen, je nachdem, ob etwas aus eigenem Willen tun, oder ob sie etwas tun, um die Folgen (z. B. Strafe, Schuld) zu vermeiden.

 5.2 „Wenn ich nicht will…“

Lernziele:

  • wie ich anderen mein „Nein“ mitteilen und ein „Nein“ der anderen hören kann;
  • „Nein“ heißt „Ja, ich will etwas anderes“, bedeutet aber nicht die Ablehnung der anderen Person, die mich bittet.

6. Einheit: „Wer mag was?"

Lernziele:

   die Sprache des positiven Handelns kennen lernen,

   die Unterschiede zwischen der Sprache des negativen und des positiven Handelns erkennen.

 6.2 „Was können wir tun, um unser Leben zu verschönern?“

Lernziele:

  • Wenn wir etwas tun, um das Leben anderer zu verschönern, tun wir das auch für unser eigenes.

 6.3  „In der Welt der Giraffen“

Lernziel:

  • Auswertung des Gelernten

praxis