Schulmediotheken als Orte neuen Lehrens und Lernens |
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Von Horst Dichanz Nach wie vor fristen Schulbibliotheken im pädagogischen, bildungspolitischen und öffentlichen Bewusstsein ein Schattendasein - völlig zu unrecht und unverständlich. Wer die Geschichte des Denkens verfolgt, wird bestätigen müssen, wie sehr die Gewinnung und Verbreitung neuer Erkenntnisse mit der Verschriftlichung des Denkens, der Forschung verbunden sind. Aber dies nur zu beklagen, hilft nicht weiter. Ständige Information, Diskussion und konsequente Lobbyarbeit können allein mittelfristig Abhilfe schaffen!
Offener Lernort Schulmediothek Aus schulpädagogischer Sicht sind es zwei Argumente,
die die Arbeit von und in Schulbibliotheken stärker ins Blickfeld
rücken. Die Ergänzung der traditionellen Bücher durch mediale
Träger und Übermittler von Informationen ist inzwischen so selbstverständlich,
dass ich nur der Akzentuierung wegen den Begriff Schulmediothek hier vorziehe. Unter den Bedingungen der Informationstechnologien (IT) und mit den Möglichkeiten des weltweit zugänglichen Internet sind heute neue Formen der Wissensverwaltung, -ordnung und -weitergabe verfügbar, die die bisherigen Aufgaben der Bildungsinstitutionen nachhaltig verändern: Statt Wissensweitergabe sind Wissenssystematisierung und -verwaltung, Navigation und das Anbieten von Such- und Metasuchsystemen erforderlich. Lernende müssen weniger Wissen aufnehmen als vielmehr Wege zur Auffindung benötigten Wissens kennen und Methoden zu seiner Bewertung erlernen. Dies geht nicht ohne die bisher schon tätigen professionellen Fachleute für Information und Lernen, die Bibliothekare und Lehrer. Die Informationstechnologien (IT) verändern auch die Aufgaben und Ziele der bisherigen Bildungsinstitutionen. Stärker als bisher müssen sich diese Institutionen - Mediotheken eingeschlossen - ihrer Umwelt gegenüber in Aufgaben, Arbeitsformen und Kundenansprache öffnen, weil sie ein wesentliches Element der Informations- und Bildungslandschaft geworden sind, deren Funktionen nicht an den Grenzen der Institution enden. Die konventionellen Bibliotheken sind längst zu ihrem größten Teil auf dem Weg dazu, neue Aufgaben wahrzunehmen und sich neuen Kunden gegenüber zu öffnen, wie dies auch die Bildungsinstitutionen tun müssen. Die technisch-organisatorische und die inhaltliche Vernetzung der Informations- und Bildungseinrichtungen ist eine weitere notwendige Konsequenz des Einsatzes der IT - auch aus schulpädagogischer Sicht.
Wiederum von der Öffentlichkeit kaum und in der Fachpresse nur begrenzt wahrgenommen worden sind die zahlreichen neuen Aufgaben und Chancen, die sich für Schulmediotheken unter den Bedingungen der IT inzwischen ergeben. Sie beziehen sich auf fachliche, methodische, didaktische, medienpädagogische und allgemeinpädagogische Aufgaben. Sie reichen von der sachkundigen Versorgung einzelner Unterrichtsaufgaben mit der passenden Literatur, der Unterstützung und Initiierung fachübergreifender Projekte über die Beteiligung an der Leseförderung bis hin zur Mitwirkung an der Schulentwicklung oder der schulinternen Lehrerfortbildung. In allen diesen Fällen können und sollen Bibliothekare uneingeschränkt als pädagogische Mitarbeiter der Schule beteiligt und als Fachleute für Informations- und Organisationsfragen der Wissensverwaltung eingesetzt werden. Dabei gehen Unterrichts- und Erziehungsaufgaben nahtlos ineinander über. (Schul)Mediothekare sollten mindestens so gut über die Lese- und Mediennutzungsgewohnheiten von Jugendlichen Bescheid wissen wie die Fachlehrer. Sie können nicht nur bei dem Aufbau und der Anschaffung jugendgeeigneter Literatur und zahlreicher lesefördernder Projekte klassen- und schulintern eine wichtige Rolle spielen. In experimentierfreudigen Schulen gehen von den Mediotheken zahlreiche Impulse für den Unterricht aus, die Mediothekare beteiligen sich an der Entwicklung von Leseförderungsprogrammen durch eigene Veranstaltungen, wie z.B. Lesenächte, die Einrichtung von Leseecken und -teppichen, Autorenlesungen, Kooperationsveranstaltungen mit anderen Schulen, regelmäßige Leseseiten für Schüler in der örtlichen Presse, die Einrichtung und Betreuung von Internetseiten, die als Forum für lesebegeisterte Jugendliche gestaltet sind , das Mitwirken am Aufbau eines lokalen/regionalen Bildungsnetzwerkes ... Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Gerade diese Veranstaltungen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Leseförderung und zum Aufbau einer perspektivischen Medienkompetenz. Denn es sind weniger die bewussten Lernaufgaben, die Jugendliche medienkompetent machen, sondern vielmehr das Hineinwachsen in eine Lese- und Medienkultur, in der das Wissen über Medien ständig aufgebaut wird (Medienkunde) und die Nutzung der Medien reflektiert und kontrolliert erfolgt (Medienreflexion). Dann stellt sich das Bewusstsein über Nutzen und Schaden der Medien (Medienkritik) quasi von selbst ein. Mediothekare sind dann eine wesentliche Unterstützung von Lehrern und nicht deren Konkurrenz, wenn sie als Experten für die Gestaltung und Organisation von Lehr-Lern-Umwelten arbeiten. Während Lehrer für das Lernen der einzelnen Schüler, für die lernenden Individuen zuständig sind, kümmern sich Mediothekare mehr um die Institution und ihre lernadäquate Ausrüstung und Organisation. Dies betrifft nicht nur die Anschaffungspolitik hinsichtlich Bücher und anderer Software, hierzu gehören ein offener, von unnötiger Verwaltung freier Zugang zu den Ressourcen, die Kooperation mit anderen Bildungsinstitutionen und Mediotheken, abgestimmte Schwerpunktsbeschaffungen in einer Region, die gezielte Unterstützung einzelner schulischer oder Bildungsmaßnahmen, die Veranstaltung von öffentlichtskeitswirksamen Werbeveranstaltungen, die Zusammenarbeit mit örtlichen Buchhandlungen ..... Alle Maßnahmen, die potentielle Leser und Bücher zusammenbringen, sind erlaubt und erwünscht. Alle Aktivitäten dieser Art sollten nachhaltig unterstützt werden! Mediotheken sind heute ein unverzichtbarer Bestandteil einer gezielten schulischen Medienarbeit. Ausländische Schulen in unseren Nachbarländern (z.B. in den Niederlanden, in Dänemark, aber auch in den USA) führen anschaulich vor, welchen zentralen Stellenwert die Mediotheksarbeit in der Entwicklung einer Lese- und Medienkultur einer Schulen spielen kann. Dort können wir viel lernen. Nur wenige Schulen haben es bisher verstanden, diese wichtigen Veränderungen konventioneller Schul- und Bibliotheksarbeit publik zu machen, Eltern und Schulpolitiker von ihrem Nutzen zu überzeugen und damit für ihre Schule zu werben. Wer aber z.B. in die Homepages einiger engagierter Schulen hineinschaut, ist überrascht von den Einfällen, den neuen Formen und den außerordentlich beachtenswerten Ergebnissen, die solche medienbasierten Schulen vorweisen können, die ihre Mediotheken ganz bewusst als Mittel für Lern - und Erziehungsziele einsetzen.
Schulmediothek - Ansatzpunkt für die Schulentwicklung Konsequent nutzen solche Schulen ihre Mediotheken und den Sachverstand der Mediothekare als Ausgangspunkt und Motor für eine medienbasierte Schulentwicklung. Mit ihrer Hilfe kann in mehreren Veranstaltungen mindestens ein Teil des Kollegiums und der Eltern für eine zielstrebige Entwicklung der Schulmediothek und mit ihr der Medienarbeit gewonnen werden. Die Anschaffungspolitik an Büchern und technischem Gerät kann ebenso von der Mediothek gesteuert werden wie schulinterne Projekte, die Kooperation mit anderen Schulen und Bildungsinstitutionen vor Ort und eine schulinterne längerfristige Lehrerfortbildung. Für die Schulleitung kann eine kleine Arbeitsgruppe unter Einschluss des Bibliothekars wichtige Vorarbeiten leisten, Programme entwerfen und eine effektive Öffentlichkeitsarbeit unterstützen, die konsequent zu einem Schulprofil führt, das die Schule als eine in Leseförderung und Medienarbeit engagierte Institution erkennen lässt.
Konsequenzen für (Schul)Mediotheken (Schul)Bibliotheken sind auf dem Weg zu lernenden Institutionen. In Anlehnung an Überlegungen einer AG bei der Bertelsmann-Stiftung haben (Schul)Bibliotheken die Aufgabe,
Aufgrund ihrer enorm gewachsenen Möglichkeiten können und müssen Schulmediotheken unter den Lehr-Lern-Bedingungen der IT zukünftig inhaltlich, organisatorisch , finanziell und personell aufgewertet werden. Lehrer, Schulleiter, die dies nicht sehen, werden ihrer pädagogischen Verantwortung gegenüber den Schülern nicht gerecht, Eltern, die dies nicht fordern, suchen nicht die "beste Ausbildung" für ihre Kinder, Schulverwaltungen, die hier zu sehr regelnd eingreifen, unterschätzen die Ergebnisse pädagogisch kreativer Schularbeit, Bildungspolitiker, die nicht helfen, die hier erforderlichen Voraussetzungen sicherzustellen, kommen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nach. - (Schul)Mediothekare haben allen Grund, selbstbewusst zu arbeiten, sie gehören zu den dringend benötigten Experten in der Wissensgesellschaft !
Horst Dichanz ist Professor an der Fernuniversität Hagen
Empfohlene Literatur : Bertelsmann Stiftung: Jahresbericht 2000/2001, Gütersloh
2001
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